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Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems

Prof. Dr. Sabine Kropp
Kurs

Einführung in das Regierungssystem Deutschlands (15070)

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Akademisches Jahr: 2018/2019
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Frage: Warum wurde in Deutschland – historisch betrachtet – ein parlamentarisches Regierungssystem etabliert. Welche Konsequenzen wurden aus dem Scheitern der Weimarer Republik für das Grundgesetz gezogen? Parlamentarisches Regierungssystem kann sowohl als Mehrheitsdemokratie als auch als Konsensdemokratie ausgestaltet sein Der parlamentarische Rat hat sich im Laufe des Jahres 1948/49 und in Abkehr von den Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik für ein parlamentarisches Regierungssystem entschieden (Parlamentarische Rat: 65 Abgeordnete der Parlamente der westlichen Besatzungszonen, und 5 nichtstimmberechtigte Abgeordnete aus Berlin) sie wollten ein institutionelles System finden, dass die Negativerfahrungen verhindern sollte. Man hat sich gegen eine „doppelte Exekutive“ entschieden. Präsident und Regierungschef nicht mit gleichen Rechten ausgestattet, Präsident wurde in seinen Kompetenzen sehr stark beschnitten.  Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments in der Weimarer Republik, war dieses Vertrauen mit einem destruktiven Misstrauensvotum ausgestaltet, d. es reichte eigentlich nur eine Abwahl der Regierung, die nicht begleitet war von der Investitur einer Regierung, also eine Mehrheit konnte die noch amtierende Regierung abwählen oder einzelne Minister – sodass die Regierung nachhaltig destabilisiert werden konnte.  Recht des Reichspräsidenten zur Entlassung der Regierung und zur Auflösung des Parlaments → Konkurrenz zwischen Parlament und Präsident: Präsident konnte mit Notverordnungen regieren, diese Kombination führte dazu, dass wir in der Weimarer Republik eine Reihe von sehr schwachen Präsidialkabinetten vorfanden, die auch zur Destabilisierung der Demokratie führten  Stark fragmentiertes Parteiensystem → Schwächung des Parlaments: für das deutsche GG 1948/49 wurden andere institutionelle Stabilisierungsfaktoren ausgesucht, die nach Möglichkeiten die Erfahrungen der Weimarer Republik eindämmten ➔ Destruktives Misstrauensvotum verhindern, schwächere Stellung des Präsidenten in das System einbauen, Gestaltung des Parteiensystems bzw. Wahlsystems  Parlamentarisches Regierungssystem  Bundestag als einziges direkt gewähltes Organ  Gewaltenteilung und wechselseitige Machtbeschränkung (ein institutionelles System einzurichten mit vielen Vetomöglichkeiten galt als eine „Vorkehr“ und ein stabilisierendes Element gegen z. präsidentielle Gewalt, Stichwort Föderalismus, Koalitionen)  Bundespräsident mit repräsentativer Funktion, keine Direktwahl, wenige Befugnisse bei der Regierungsbildung und bei Auflösung des Bundestages (Reservefunktionen, die dann zur Geltung kommen, wenn andere Organe nicht funktionieren)  Zusammenfassung von zusammengehörenden Eigenschaften und Merkmalen (bündelt bestimmte Merkmale, die aufeinander bezogen sind)  Ziel: vielfältige Realität ordnen und systematisieren, Typen festmachen, die mehrere politische Merkmale aufweisen und zwar unter Vernachlässigung anderer Merkmale, damit reduziert man auch die empirische Komplexität  Keine Theorie, aber Grundlage für Theoriebildung (Bsp.: Merkmale eines parlamentarischen Regierungssystems sind noch keine Theorie, aber man könnte im zweiten Schritt fragen, ob sie ökonomisch leistungsfähiger sind als präsidentielle Systeme und woran das liegt, wenn der Zusammenhang besteht) Klassifikatorischer Typus: Entweder-Oder-Prinzip ( → Fälle werden trennscharfen Klassen zugeordnet) – Die Vernachlässigung bestimmter Eigenschaften und die Hervorhebung von Merkmalen erfolgen in generalisierender (verallgemeinernder) Absicht Komparativer Typus: Eigenschaften von Objekten so konstruiert, dass sie einem Phänomen mehr oder weniger zugeschrieben werden können. Die Begriffe sind so konstruiert, dass Abstufungen möglich sind. (hängt mit der Forschungsfrage zusammen) Reduzierter Subtypus: Es liegen alle Merkmalsausprägungen des Ursprungstypus vor, allerdings in vermindernder Form. (Bsp.: Italien unter Berlusconi, Demokratie mit Abstrichen mit verminderter Intensität, weil die Justiz nicht unabhängig war. Italien könnte man mit der illiberalen Demokratie typisieren könnte – sehr umstritten) Verständnis: Zentrale Unterscheidungsmerkmale der beiden Regierungssysteme kennen Präsidentielles System: USA gilt häufig als Bezugssystem – sind sehr starke idealtypische zusammengefasste Informationen Parlamentarisches System: Deutschland gilt alsBezugssystem  Recht der Regierung zur Auflösung des Parlaments: in Deutschland sehr restriktiv ausgestaltet, nur über eine Vertrauensfrage kann man das Parlament auflösen, in anderen Regierungssystemen ist das Recht einfacher umzusetzen  Neuer Dualismus: andere Form der wechselseitigen Kontrolle, wenn Regierung von der Parlamentsmehrheit abhängig ist und das Parlament durch die Regierung gestützt wird, finden wir nicht mehr die herkömmlichen Formen der Gewaltenteilung vor, in denen sich die beiden als eigenständige Regierungszweige gegenüberstehen, sondern als Organisationseinheit  Parteipolitische Ausrichtung von Regierung und parlamentarischer Mehrheit ist gleich (außer bei Minderheitsregierung!)  Parteien mit Fraktionsdisziplin, die strikt eingehalten werden muss, wenn man beispielsweise nur knapp über 50 der Mandate hat, weil sonst die Stabilität der Regierung nicht gewährleistet ist. Regierungspartei ist deshalb auch oft unter Führung des Regierungschefs  Regierung gehört oftmals zum Parlament, Minister verfügen über ein Mandat  Alle zwei Jahre Wahlen zum Repräsentantenhaus oder Senat (regelmäßig um 1/3 wird verändert), Regierung bleibt trotzdem gleich, bestätigte Legitimation vom Volk  Präsident kann Parlament nicht auflösen, Wählersouveränität gilt – auch wenn sich die Mehrheitsverhältnisse ändern, muss der Präsident mit einem anders zusammengesetzten Kongress Politik gestalten, kann bestimmte Vorstellungen nicht umsetzen  Präsident kann unabhängig von den Mehrheiten amtieren, handelt mehr autonom, er braucht keine Regierungsmehrheit – lockere Fraktionsdisziplin, Präsident braucht auch immer wieder Abgeordnete von der anderen Seite, die sein Vorhaben unterstützen – Regierungspartei eher unabhängig vom Präsidenten (USA Verabschiedung des Haushaltes: Mehrheiten von der anderen Seite haben Gesetzesvorhaben blockiert)  Präsident darf nicht dem Parlament angehören, Abgeordnete dürfen nicht der Regierung angehören Inkompatibilität Studie (Untersuchung von präsidentiellen Regierungssystemen in Afrika) - In einigen präsidentiellen Demokratien sind Parlaments- und Präsidentschaftswahlen entweder gekoppelt oder sie finden zeitgleich statt ( Mehrheiten gehen dann auch in die gleiche Richtung, was die checks & balances aufbricht, gleiche Mehrheiten sind dann ein Element parlamentarischer Regierungssysteme, Verflechtung zwischen beiden RS) - In einigen präsidentiellen Demokratien kann der Präsident das Parlament auflösen - Insgesamt 27 präsidentielle Demokratien wurden nach 1945 untersucht, 40 Prozent der Kabinette sind Koalitionen gewesen, kein Zweiparteiensystem Präsident holt dann häufig Minister aus anderen Parteien des Parlaments in die Regierung, um sich sicher sein zu können, dass Gesetzgebungsverfahren in seinem Sinne funktionieren wirkt in Richtung Koalitionskabinette Präsident wird stärker abhängig von Parlamentsfraktionen der Parteien, die er in sein Kabinett geholt hat - Man findet eine Parlamentarisierung der präsidentiellen Systeme Fragen: Was verstehen die Abgeordneten unter dem Begriff? Und wie bewerten sie die Fraktionsdisziplin? Wozu dient die Fraktionsdisziplin? Wie schätzen Abgeordnete die Fraktionsdisziplin im Allgemeinen ein? These: Parlamentarisches Regierungssystem wird häufig nicht richtig verstanden und aufgrund der Missverständnisse werden funktionsgerechte Abläufe dem parlamentarischen Regierungssystem angekreidet, was dann zu Legitimationsverlusten führt - Das Funktionieren des parlamentarischen Systems wird diesem aufgrund weit verbreiteter Missverständnisse und Vorbehalte zum Vorwurf gemacht. Wissensprobleme erzeugen Legitimationsprobleme  Beispiel: Fraktionsdisziplin - Aushöhlung des freien Mandats (Artikel 38 GG: Volksvertreter Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden) andererseits geschlossenes Stimmverhalten in den Fraktionen erforderlich, um Regierungsstabilität in einem parlamentarischen Regierungssystem herzustellen - Deshalb Spannungsverhältnis zwischen dem Abgeordneten als dem Vertreter des Volkes und als Vertreter seiner Partei (nicht der Abgeordnete, sondern die Abgeordnete sind Vertreter des Volkes) - Deutliche Mehrheit der Abgeordneten in Bundestag und Landtagen unterstützt die Fraktionsdisziplin, aber nur rund ein Drittel der Europaparlamentarier (Europaparlament hält und unterstützt auch keine Regierung im Amt – anderer Typus von Parlament) - Unterschiede vor allem bei den kleinen Fraktionen bei Linken, Grünen und FDP (bei Grünen und Linken eher libertäre Werte etc.) - Abgeordnete, die Fraktionsdisziplin als Norm befürworten, praktizieren sie nicht unbedingt selbst - Abweichendes Verhalten unter ostdeutschen Abgeordneten häufiger als unter westdeutschen Abgeordneten (das mag damit zusammenhängen, dass die gegen den Staat gerichteten Haltungen unter Ostdeutschen noch stärker sind als unter Westdeutschen) - Anerkennung der FD als Instrument der politischen Führung und als Ausdruck gemeinsamer Überzeugungen - Dass Abgeordnete für ein geschlossenes Abstimmen eintreten, heißt nicht, dass sie dieses auch selbst praktizieren - Innerfraktionelle Geschlossenheit nicht erzwungen (aber: Druck), Abgeordneter kann sich auf das freie Mandat beziehen - Gegensätze sind manchmal überkonstruiert in der öffentlichen Debatte, es gibt sehr oft gemeinsame Positionen zwischen Parlamentariern der Mehrheitsfraktionen und Regierung - Teamfähigkeit und „Fraktionssolidarität“ als Grundlagen der Fraktionsdisziplin (leichter Rückgang zwischen 2003 und 2010 laut Jenaer Panelstudie – temporärer Rückgang? In großen Koalitionen spielt die Fraktionssolidarität keine so große Rolle, als bei kleineren Koalitionen, man kann es sich nicht erlauben) - Wähler schätzen keine Zerstrittenheit der Fraktionen (ambivalente Haltung in den Medien) - Missverständnisse und Kenntnislücken des parlamentarischen Systems auf der Seite der Bevölkerung

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Weimarer Republik für das Grundgesetz gezogen?
Parlamentarisches Regierungssystem kann sowohl als Mehrheitsdemokratie als auch als
Konsensdemokratie ausgestaltet sein
Der parlamentarische Rat hat sich im Laufe des Jahres 1948/49 und in Abkehr von den
Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik für ein parlamentarisches
Regierungssystem entschieden (Parlamentarische Rat: 65 Abgeordnete der Parlamente der
westlichen Besatzungszonen, und 5 nichtstimmberechtigte Abgeordnete aus Berlin) sie
wollten ein institutionelles System finden, dass die Negativerfahrungen verhindern sollte.
Man hat sich gegen eine „doppelte Exekutive“ entschieden. Präsident und Regierungschef
nicht mit gleichen Rechten ausgestattet, Präsident wurde in seinen Kompetenzen sehr stark
beschnitten.
Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments
in der Weimarer
Republik, war dieses Vertrauen mit einem destruktiven Misstrauensvotum
ausgestaltet, d.h. es reichte eigentlich nur eine Abwahl der Regierung, die nicht
begleitet war von der Investitur einer Regierung, also eine Mehrheit konnte die noch
amtierende Regierung abwählen oder einzelne Minister sodass die Regierung
nachhaltig destabilisiert werden konnte.
Recht des Reichspräsidenten zur Entlassung der Regierung und zur Auflösung des
Parlaments Konkurrenz zwischen Parlament und Präsident: P
räsident konnte mit
Notverordnungen regieren, diese Kombination führte dazu, dass wir in der Weimarer
Republik eine Reihe von sehr schwachen Präsidialkabinetten vorfanden, die auch
zur Destabilisierung der Demokratie führten
Stark fragmentiertes Parteiensystem Schwächung des Parlaments:
für das
deutsche GG 1948/49 wurden andere institutionelle Stabilisierungsfaktoren
ausgesucht, die nach Möglichkeiten die Erfahrungen der Weimarer Republik
eindämmten
Destruktives Misstrauensvotum verhindern, schwächere Stellung des Präsidenten in
das System einbauen, Gestaltung des Parteiensystems bzw. Wahlsystems
Parlamentarisches Regierungssystem
Bundestag als einziges direkt gewähltes Organ
Gewaltenteilung und wechselseitige Machtbeschränkung
(ein institutionelles System
einzurichten mit vielen Vetomöglichkeiten galt als eine „Vorkehr“ und ein
stabilisierendes Element gegen z.B. präsidentielle Gewalt, Stichwort Föderalismus,
Koalitionen)