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Selbstportraits (Born-Rilke, in Prosa gesetzt)

Ursprünglich aus dem griechischen mimeme („etwas nachahmen“) abgeleite...
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Deutsch Leistungskurs

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Akademisches Jahr: 2022/2023
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Nicolas Born Selbstbildnis (1967)

Oft für kompakt gehalten für eine runde Sache, die geläufig zu leben versteht, doch einsam frühstücke ich nach Träumen, in denen nichts geschieht. Ich, mein Ärgernis mit Haarausfall und wunden Füßen einssechsundachtzig und Beamtensohn, bin mir unabkömmlich, unveräußerlich kenne ich meinen Wert eine Spur zu genau und mach Liebe wie Gedichte nebenbei. Mein Gesicht, verkommen, vorteilhaft im Schummerlicht und bei ernsten Gesprächen. Ich Zigarettenraucher, halb schon Asche, Kaffeetrinker mit den älteren Damen, die mir halfen wegen meiner sympathischen Fresse, und die Rücksichtslosigkeit, mit der ich höflich bin.

Rainer Maria Rilke

Selbstbildnis aus dem Jahre 1906

Des alten lange adligen Geschlechtes Feststehendes im Augenbogenbau. Im Blicke noch der Kindheit Angst und Blau und Demut da und dort, nicht eines Knechtes doch eines Dienenden und einer Frau. Der Mund als Mund gemacht, groß und genau, nicht überredend, aber ein Gerechtes Aussagendes. Die Stirne ohne Schlechtes und gern im Schatten stiller Niederschau. Das, als Zusammenhang, erst nur geahnt; noch nie im Leiden oder im Gelingen zusammengefaßt zu dauerndem Durchdringen, doch so, als wäre mit zerstreuten Dingen von fern ein Ernstes, Wirkliches geplant.

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Nicolas Born
Selbstbildnis (1967)
Oft für kompakt gehalten
für eine runde Sache,
die geläufig zu leben versteht,
doch einsam frühstücke ich nach Träumen,
in denen nichts geschieht.
Ich, mein Ärgernis
mit Haarausfall und wunden Füßen
einssechsundachtzig und Beamtensohn,
bin mir unabkömmlich,
unveräußerlich kenne ich
meinen Wert eine Spur zu genau
und mach Liebe wie Gedichte nebenbei.
Mein Gesicht, verkommen,
vorteilhaft im Schummerlicht
und bei ernsten Gesprächen.
Ich Zigarettenraucher,
halb schon Asche,
Kaffeetrinker mit den älteren Damen,
die mir halfen
wegen meiner sympathischen Fresse,
und die Rücksichtslosigkeit,
mit der ich höflich bin.
Rainer Maria Rilke